Stellungnahme der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK) e.V.
Auf Einladung der Kultusministerkonferenz verfasste die GMK – vertreten durch die Fachgruppe Schule der GMK (Dr. Lea Schulz, Nina Autenrieth, Daniel Autenrieth) und den Vorstand (Rüdiger Fries) – im Rahmen der Anhörung im Juli 2024 eine Stellungnahme zum Entwurf der länderübergreifenden Empfehlung zum Umgang mit KI in schulischen Bildungsprozessen der KMK.
Grundsätzliche Anmerkungen
a) Positive Anmerkungen
Die Handlungsempfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) bieten einen differenzierten Rahmen für die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in schulische Bildungsprozesse. Sie signalisieren ein starkes Engagement zur Förderung digitaler Kompetenzen bei Lehrkräften und Schüler*innen. Der Ansatz, KI in einem konstruktiv-kritischen Diskurs zu behandeln, wird als besonders positiv hervorgehoben und erfährt maßgebliche Unterstützung durch die Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur (GMK). Die koordinierte und länderübergreifende Abstimmung zur Harmonisierung der Bildungsprozesse in den einzelnen Bundesländern wird ebenfalls positiv bewertet, da sie eine einheitliche und konsistente Umsetzung der digitalen Bildungspolitik ermöglicht.
b) Kritische Anmerkungen
Es wird zwar der Einsatz von KI-Technologien betont, aber es bleibt unklar, wie diese Technologien effektiv und nachhaltig in den Schulalltag integriert werden sollen.
c) Hinweis auf fehlende Aspekte
Das Papier weist in mehreren Bereichen eine unzureichende Spezifikation auf und es mangelt an konkreten Umsetzungsplänen und Ressourcenangaben:
- Ein dediziertes KI-Kompetenzmodell für Schüler*innen und Lehrkräfte wäre notwendig, um klare Orientierungspunkte für die Umsetzung des Bildungsauftrags zu bieten. Zu einem solchen Kompetenzmodell ist weiterhin Forschung notwendig.
- Um den rasanten Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz auch im Bildungsbereich noch folgen zu können, sind Lösungen zu entwickeln, wie wir auf diese schnelllebigen Prozesse und damit verbundenen Transformationsprozesse reagieren können. In Schulentwicklungsprozessen sollten bspw. feste KI-Coaches (fortgebildete Lehrkräfte) als Ansprechpartner*innen vor Ort etabliert werden. Diese sollten kontinuierlich über die neuesten KI-Entwicklungen informiert sein und das Kollegium bei der Verantwortungsübernahme hinsichtlich der kontinuierlichen Berücksichtigung von Schlüssel- und Zukunftsthemen (KI, Diversität, Nachhaltigkeit, Digitalisierung) begleiten, um den raschen technologischen Veränderungen gerecht zu werden.
- Ein weiterer zentraler Aspekt, der nicht ausreichend behandelt wird, ist die detaillierte Berücksichtigung der ethischen Implikationen und Datenschutzfragen im täglichen Umgang mit KI, insbesondere durch die Einbindung der Eltern als Bildungspartnerschaft.
- Ebenso fehlen detaillierte Richtlinien zur Diagnostik und dem Umgang mit KI-basierter Lernstanderfassung sowie der Interpretation auf Grundlage von Bewertungsmodellen.
- Der Bereich Schulentwicklung wird in diesem Papier vollständig außer Acht gelassen. Insbesondere gute Führung und eine strategische KI-Implementierung in schulische Entwicklungsmaßnahmen sind entscheidend für einen Erfolg der Maßnahmen in den Schulen vor Ort. Dafür sollten die Länder gemeinsam in einer zu gründenden Expert*innengruppe umfangreiche Schulentwicklungsmaßnahmen an allen Schularten entwickeln, die flächendeckend umgesetzt werden können. Gerahmt werden sollten diese Maßnahmen durch digitale Online-Lernmodule (z.B. lernen:digital oder inklusiv.digital).
- Angesichts der Herausforderungen, mit denen Schulen und Lehrkräfte konfrontiert sind, bspw. in Bezug auf Zeitressourcen, bietet KI signifikante Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung, Weiterentwicklung und Transformation. Diese Potenziale können nun im Kontext der ohnehin laufenden Wandlungsprozesse (z.B. Veränderung der Prüfungskultur) in den Schulen noch besser unterstützt werden. In diesem Sinne wäre wünschenswert, dass die Handlungsempfehlungen einen ganzheitlichen Ansatz zur KI-Integration in Schulen skizzieren, der alle Dimensionen der Schulentwicklung berücksichtigt. Basierend auf dem Modell von Eickelmann & Gerick (2017) zur digitalen Schulentwicklung sollten konkrete Strategien in folgenden Bereichen erarbeitet werden:
- Unterrichtsentwicklung: z.B. Nutzung von KI für eine veränderte Lehr-Lern-Kultur.
- Technologieentwicklung: z.B. Integration von KI in die bestehende technologische Infrastruktur der Schulen.
- Personalentwicklung: z.B. KI-gestützte Fortbildungskonzepte und Unterstützung der individuellen professionellen Weiterentwicklung von Lehrkräften (siehe Themenbereich 3).
- Organisationsentwicklung: z.B. KI als Coach für kreative und innovative Veränderungsprozesse, aber auch zur Optimierung von Verwaltungsprozessen und Ressourcenmanagement.
- Kooperationsentwicklung: Zusammenarbeit z.B. mit Hochschulen, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen (bspw. AlgorithmWatch), die Expertise im Bereich KI einbringen und gleichzeitig eine kritisch-reflektierte Perspektive auf den Einsatz von KI-Technologien im Bildungskontext ermöglichen.
- Dabei sollte auf die Expertise im außerschulischen Bereich zurückgegriffen werden: Für die erfolgreiche Implementierung von KI sind nicht nur schulische, sondern auch außerschulische Kompetenzen erfordert. KI-Entwicklungen und -Anwendungen erfordern oft spezielle technische, ethische oder pädagogische Kenntnisse, die über das übliche schulische Curriculum hinausgehen. Durch die Einbeziehung von Expert*innen aus Universitäten, Forschungseinrichtungen, außerschulischen Bildungseinrichtungen und der Industrie können Schulen von fortschrittlichem Wissen und praxisnahen Erfahrungen profitieren. Außerschulische Partner können praxisnahe Projekte und Anwendungsbeispiele (z.B. aus dem Bereich der Medienpädagogik) bereitstellen, die den Schüler*innen helfen, theoretisches Wissen in realen Kontexten zu verstehen und lebensweltbezogen anzuwenden. Auch der Ausbau von außerschulischen Lernorten zum Thema KI (z.B. in Museen oder medienpädagogischen Experimentier-Stationen) sollte unterstützt Durch die Kooperation mit externen Expert*innen können Schulen von bestehenden Netzwerken und Ressourcen profitieren, was die Umsetzung von KI-Projekten erleichtert und beschleunigt.
d) Redaktionelle Hinweise
Die Darstellung und Sprache des Dokuments könnten durch einfachere Formulierungen und klarere Struktur, wie beispielsweise visualisierte Modelle oder Aufzählungen, verbessert werden. Ebenfalls könnte auf die Verwendung des Akronyms LLMs für die Pluralform von Large Language Models geachtet werden. Die Singularform wird mit LLM abgekürzt.
Rückmeldung zu Themenbereich 1 bis 5
Themenbereich 1: Einfluss und Auswirkungen von KI auf Lernen und Didaktik
a) Positive Rückmeldung zu zentralen Aspekten
Die Hervorhebung der Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI) als Unterstützung für personalisiertes Lernen und die Förderung individueller Schüler*innenbedarfe ist besonders positiv zu bewerten. Die Potenziale für Chancengerechtigkeit und Inklusion durch KI-gestütztes Lernen sind erheblich. Insbesondere Assistive Technologien werden zukünftig neue Teilhabemöglichkeiten eröffnen. Besonders positiv möchten wir folgenden Absatz hervorheben und unterstützen: „In einem didaktisierten Kontext erscheint den Ländern ein weitgehender Verzicht auf KI-Sprachmodelle in der Grundschule und in den ersten Jahren der Sekundarstufe I, wie ihn die SWK empfiehlt, daher erörterungsbedürftig.“ Zudem ist die Entwicklung spezifisch trainierter KI-Anwendungen für den Bildungsbereich wünschenswert. Die Begutachtung dieser Anwendungen durch den Primarbereich und die Sonderpädagogik ist ebenfalls positiv hervorzuheben. Ferner ist es wichtig zu betonen, dass auch die berufliche Bildung Berücksichtigung findet. Die Unterstützung und Förderung von Forschungsprojekten ist eine notwendige Voraussetzung, da insbesondere im Bereich der generativen KI bislang nur begrenzte Daten vorliegen.
b) Kritische Rückmeldung zu zentralen Aspekten
- Die Förderung von Basiskompetenzen wird thematisiert. Aus unserer Perspektive sollte Medienkompetenz ebenfalls als essenzieller Bestandteil der Zukunftskompetenzen unserer Schüler*innen anerkannt werden.
- Hinsichtlich der Ausweitung auf die Grundschule und die ersten Jahre der Sekundarstufe sollten auch diagnostische Möglichkeiten zur Lernstanderfassung in die Begründung einbezogen werden, ebenso wie Optionen der Unterrichtsplanung und -gestaltung.
- Bezüglich der folgenden Aussage wäre es wünschenswert, dass die KI-unterstützten Lernmaterialien ebenfalls hinsichtlich ihrer didaktischen Werte geprüft werden, wie es etwas weiter unten auf die LLMs übertragen angewendet wird: „Sie gehen ebenso davon aus, dass adaptive und KI-unterstützte Lernmaterialien einen positiven Effekt auf den Erwerb von Basiskompetenzen haben können.„
- Die Gefahr der Vereinzelung und der Reduzierung sozialer Interaktionen durch den vermehrten Einsatz von KI wird zwar angesprochen, jedoch fehlen konkrete Maßnahmen, um diesem entgegenzuwirken.
c) Hinweis auf fehlende Aspekte
- Im Hinblick auf die Forschung ist es unerlässlich, dass auch Initiativen zur Förderung von Forschungsprojekten zur Weiterentwicklung KI-basierter Assistiver Technologien für den schulischen Einsatz vorangetrieben werden. Diese Technologien könnten insbesondere für die Inklusion und Teilhabe der Schüler*innen einen signifikanten Erfolgsfaktor darstellen. Durch den gezielten Einsatz solcher Technologien kann nicht nur der Zugang zu Bildungsinhalten erleichtert, sondern auch die Selbstständigkeit und das individuelle Lernpotenzial der Lernenden gesteigert werden.
- Es fehlt ein klarer Plan zur Integration von KI-gestützten Lernumgebungen in den regulären Unterricht. Dabei sollten sowohl die Optionen zur Lernstanderfassung und -strukturierung als auch zur Organisation der Lehrkräfte (insbesondere hinsichtlich der bürokratischen Aufgaben außerhalb der Unterrichtsplanung) detailliert berücksichtigt werden.
- Für das „Lernen über KI“ ist aus unserer Perspektive eine Erweiterung der Curricula notwendig. Zusätzlich sollte die Umsetzung von Basiskompetenzen im Rahmen der Schullaufbahn auch außerhalb der traditionellen Fächer erfolgen, um dem sogenannten Digital Gap entgegenzuwirken. Begründend möchten wir dazu folgendes anführen: Die Integration von Basiskompetenzen wie Medienkompetenz, digitale Fertigkeiten und kritisches Denken in den gesamten Schulalltag fördert einen ganzheitlichen Kompetenzerwerb. Diese Fähigkeiten sind nicht nur in spezifischen Fächern relevant, sondern in vielen Lebensbereichen und beruflichen Kontexten von Bedeutung. Der Digital Gap beschreibt die Kluft zwischen jenen, die Zugang zu digitalen Technologien und den notwendigen Kompetenzen haben, und jenen, die davon ausgeschlossen sind. Durch die Förderung von Basiskompetenzen außerhalb der traditionellen Fächer wird sichergestellt, dass alle Schüler*innen, unabhängig von ihrem sozialen oder wirtschaftlichen Hintergrund, die Möglichkeit haben, digitale Kompetenzen zu erwerben. Die Vermittlung von Basiskompetenzen im Sinne von „Lernen über KI“ sollte in realen und praxisnahen Kontexten stattfinden. Dies erhöht die Relevanz und das Verständnis der Schüler*innen für diese Fähigkeiten. Beispielsweise kann die Anwendung digitaler Werkzeuge in Projekten, Arbeitsgruppen oder extracurricularen Aktivitäten die Praxisnähe und den Lerneffekt steigern und kann hervorragend mit weiteren medienpädagogischen Zielsetzungen verfolgt werden. Durch die Integration digitaler Kompetenzen in verschiedene Bereiche des schulischen Lebens können Schulen flexibler auf die sich ständig ändernden Anforderungen der digitalen Welt reagieren. Dies ermöglicht eine schnellere Anpassung an neue Technologien und Lernmethoden. Die kontinuierliche Auseinandersetzung mit digitalen Basiskompetenzen sowie den Zukunftskompetenzen in verschiedenen Kontexten fördert die Selbstständigkeit und das lebenslange Lernen der Schüler*innen. Sie lernen, digitale Werkzeuge und Techniken eigenständig zu nutzen und ihre kritisch-kreativen Fähigkeiten kontinuierlich zu erweitern.
- Die Nutzung von LLMs als Coaching Systeme kann Barrieren abbauen, die Schüler*innen davon abhalten, sich aktiv am Unterricht zu beteiligen. Erste internationale Untersuchungen (z.B. Khan 2024) hierzu zeigen bereits, dass die Möglichkeit, Fragen an einen KI-Tutor zu richten, die Angst vor öffentlicher Bloßstellung oder Anspannung reduziert und Engagement, Lernbereitschaft und die Schaffung positiver Selbstwirksamkeitserfahrungen fördert. Eine Sensibilisierung hierfür wäre hilfreich für die didaktische Konzeption von Lehr-Lern-Settings, was eine Diskurskultur in Lehr-Lernsettings nicht ersetzen soll.
- KI kann dazu beitragen, die traditionellen Fächergrenzen aufzubrechen und interdisziplinäres Lernen zu fördern. Dies ermöglicht den Schüler*innen ein tieferes Verständnis für die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Wissensgebieten und stärkt ihr Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten, mit der Komplexität der realen Welt umzugehen. Ähnlich wie bei der Transformation der Prüfungskultur sollte auch hier die Chance genutzt werden, tradierte Systeme wie Fächergrenzen und den 45 Minuten Takt aufzubrechen und Schulen hierbei zu unterstützen.
- Ein weiterer zentraler Aspekt, der in den Handlungsempfehlungen nicht ausreichend berücksichtigt wird, ist die instrumentell-qualifikatorische Dimension der Bildung im Kontext einer durch KI geprägten Zukunft. Studien wie „Die Zukunft der Arbeit“ (Nationale Akademie der Wissenschaften 2024) prognostizieren grundlegende Veränderungen in der Art und Weise, wie Menschen leben, arbeiten und Sinn in ihrem Leben finden. Dies impliziert einen erhöhten Bedarf an Bildungskonzepten, die über rein instrumentelle und berufsrelevante Qualifikationen hinausgehen. Eine zukunftsorientierte Bildung muss Schüler*innen auf diese durch KI veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen vorbereiten. Hierbei ist es essentiell, dass neben den kognitiven auch die sinnlich-ästhetischen Aspekte sowie Kompetenzen zur Lebensführung und zum individuellen und gemeinschaftlichen Wohlbefinden (Well-being) in den Blick genommen werden.
- Letztlich sollte auch die Förderung von Kompetenzen zur aktiven Partizipation und Mitgestaltung in einer zunehmend durch KI geprägten Welt akzentuiert werden. Die Integration von KI in schulische Bildungsprozesse sollte explizit darauf abzielen, Schüler*innen zu befähigen, nicht nur passive Nutzer*innen von KI-Technologien zu sein, sondern aktiv an der Gestaltung ihrer KI-durchdrungenen Umwelt teilzuhaben. Es wäre wünschenswert, dass die Handlungsempfehlungen konkrete Strategien zur Förderung von Partizipation im Kontext von KI beinhalten. Dies könnte beispielsweise die Entwicklung von Unterrichtseinheiten umfassen, die Schüler*innen ermutigen, KI-basierte Lösungen für reale Probleme in ihrer Schule oder Gemeinde zu entwickeln und zu implementieren, um so die gesellschaftlich-kulturellen, technischen und nutzungsbezogenen Dimensionen aktiv-produktiv und kritisch-reflexiv zu bearbeiten.
d) Redaktionelle Hinweise
Keine
Themenbereich 2: Veränderung der Prüfungskultur durch KI
a) Positive Rückmeldung zu zentralen Aspekten
Die vorgeschlagene Anpassung der Prüfungsformate an die neuen digitalen Möglichkeiten ist ein wichtiger Schritt, um zeitgemäße Kompetenzen zu bewerten. Der Themenbereich 2 betont die Notwendigkeit einer modernen Prüfungskultur, die auf die Kultur der Digitalität ausgerichtet ist und zeitgemäße Leistungsüberprüfungsformate umfasst, was wir hiermit äußerst positiv hervorheben möchten. Der Einzug von KI-Anwendungen in schulische Bildungsprozesse fördert die Integration von Zukunftskompetenzen wie Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken. Somit ist es zwingend notwendig, dass wir unsere Formate an die Kultur der Digitalität anpassen.
b) Kritische Rückmeldung zu zentralen Aspekten
- Es ist entscheidend, dass umfassende Fortbildungsprogramme entwickelt werden (z.B. über die derzeit in Planung befindliche Plattform des länderübergreifenden Vorhabens aus dem Digitalpakt „inklusiv.digital“), um Lehrkräften das notwendige Wissen und die Fähigkeiten zu vermitteln, um KI-gestützte Prüfungsformate effektiv zu nutzen (s. auch Themenbereich 3).
- KI-Technologien bieten Lehrkräften wertvolle Unterstützung bei der Korrektur und Bewertung, indem sie Prozesse wie Vorkorrektur und adaptive Lernunterstützung erleichtern. Insbesondere bei der sonderpädagogischen Diagnostik und Lernstanderfassung ist zwingend davon abzuraten, neue Labeling-Prozesse im Sinne einer KI-basierten Entscheidung für sonderpädagogische Schwerpunkte in Gang zu setzen.
- Eine genaue Unterscheidung zwischen Prüfungsformaten und Lernstanderfassungen ist erforderlich, um sicherzustellen, dass die Entwicklung der Schüler*innen im Vordergrund steht und die Formate ihren individuellen Lernbedürfnissen gerecht werden.
c) Hinweis auf fehlende Aspekte
Im Themenbereich 2 wird die Notwendigkeit einer umfassenden fachlichen Diskussion über den Einsatz von generativen KI-Anwendungen und die Entwicklung vielseitiger Prüfungsformate betont, die sowohl fachliche als auch überfachliche Kompetenzen abdecken. Bei der Diskussion sollten ebenfalls KI-unterstützte Nachteilsausgleiche zum Thema gemacht werden.
d) Redaktionelle Hinweise
Keine
Themenbereich 3: Professionalisierung von Lehrkräften
a) Positive Rückmeldung zu zentralen Aspekten
Die Bedeutung der kontinuierlichen Weiterbildung der Lehrkräfte wird klar hervorgehoben. Positiv möchten wir konnotieren, dass ebenfalls medienpädagogische, medienethische sowie medienkritische Gesichtspunkte bedacht worden sind.
b) Kritische Rückmeldung zu zentralen Aspekten
Es fehlen konkrete Fortbildungsprogramme und Ressourcen, um die Lehrkräfte systematisch auf den Umgang mit KI vorzubereiten. Einerseits bedarf es eines Kompetenzmodells zur systematischen Weiterbildung der Lehrkräfte, andererseits benötigt es umfangreiche Fortbildungsangebote, für die den Lehrkräften auch Zeit zur Verfügung gestellt wird. Positiv ist, dass die Weiterbildungsmaßnahmen ebenfalls in der Lehrkräfteausbildung berücksichtigt werden sollen. Es ist notwendig an den Universitäten und Ausbildungsseminaren/Landesinstituten explizit KI-orientierte Module einzubinden, damit die Studierenden und Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst nicht nur didaktisch-orientierte Angebote erfahren, sondern auch die technischen, ethischen, reflexiven (…) Momente der KI-Bildung erlernen können.
c) Hinweis auf fehlende Aspekte
Ein detaillierter Plan zur Integration von KI-Kompetenzen in die Lehrkräfteausbildung und -fortbildung fehlt. Es fehlen zudem Strategien zur Weiterbildung der Dozierenden und Professor*innen an den Universitäten sowie den Dozierenden und Studienleitungen an den Landesinstituten zum Erwerb von KI-Kompetenzen. Auch weitere Fachkräfte und Pädagog*innen, die Teil des schulischen Alltags sind, sollten weitergebildet werden (Schulbegleitungen, schulische Assistenzen, weitere Fachkräfte, Pädagog*innen im offenen Ganztag, Medienpädagog*innen, Erzieher*innen).
Darüber hinaus fehlt es an Konzepten für die Entwicklung und den Einsatz KI-basierter Tools zur Unterstützung der Selbstreflexion und professionellen Weiterentwicklung von Lehrkräften. Solche Tools könnten eine wichtige Rolle bei der kontinuierlichen, individualisierten Kompetenzentwicklung spielen und sollten in umfassende Aus- und Fortbildungsstrategien für alle genannten Gruppen integriert werden. Sie böten die Möglichkeit, personalisierte Lernpfade und Feedback-Mechanismen zu implementieren, die es Lehrkräften und pädagogischem Personal ermöglichen, ihre (KI-)Kompetenzen selbstgesteuert zu erweitern. Konkrete Ansätze hierfür finden sich z.B. bei Möller et al. (2024), die eine vergleichende Studie zu Lernfortschritten mit KI-Tutoren durchgeführt haben.
d) Redaktionelle Hinweise
Es fehlt eine Übersicht (z.B. Tabelle) zu den wichtigsten KI-Kompetenzen.
Themenbereich 4: Regulierung
a) Positive Rückmeldung zu zentralen Aspekten
Die Einhaltung rechtlicher Rahmenbedingungen und der Datenschutz werden angemessen berücksichtigt. Gleichwohl wird betont, dass eine Kooperation mehrere Akteur*innen notwendig ist. Es wird positiv unterstützt, dass ebenfalls die Potenziale des Markts an Bildungsmedien eingebunden werden sollen.
b) Kritische Rückmeldung zu zentralen Aspekten
Es fehlt eine klare Strategie zur Kontrolle der Einhaltung dieser Rahmenbedingungen im schulischen Alltag. Gleichzeitig sollten neben dem Datenschutz auch das Recht auf inklusive Bildung betrachtet werden, da KI eine Reihe Optionen zur Teilhabe bieten kann, dies jedoch manchmal zuungunsten des Datenschutzes nur möglich ist (einfügen von Bildern in elektronische Kommunikationshilfen).
c) Hinweis auf fehlende Aspekte
Die Frage der Verantwortlichkeit bei Fehlfunktionen von KI-Systemen bleibt unbeantwortet. Zusätzlich sollten Gremien geschaffen werden, die über die beständigen Neuentwicklungen informiert sein sollten, z.B. ein übergreifendes Gremium der Landesinstitute.
d) Redaktionelle Hinweise
Klare Definitionen der rechtlichen Begriffe und eine präzisere Sprache wären hilfreich.
Themenbereich 5: Zugangsfragen zu generativen KI-Anwendungen im Kontext von Chancengerechtigkeit
a) Positive Rückmeldung zu zentralen Aspekten
Die Förderung der digitalen Teilhabe aller Schüler*innen wird stark betont und wird durch ein eigenes Kapitel angemessen Bedeutung zugemessen. Die Vorgehensweisen zur Verhinderung des digital gaps sind notwendig und wichtig und auch die Hervorhebung der Optionen für inklusive Bildung notwendig, da dies auch der Umsetzung der UN-BRK in Deutschland entsprechen kann. Eine Option der Nutzung eines bundesweiten KI-Systems ist der Chancengerechtigkeit zuträglich.
b) Kritische Rückmeldung zu zentralen Aspekten
- Neben der Bereitstellung eines LLMs sollten gleichzeitig für die Bundesländer und die Schulen die Offenheit gewahrt werden, zusätzlich andere datenschutzkonforme Systeme einsetzen zu können.
- Ferner sollte ein deutlicher Ausbau der nationalen Bildungsplattform erfolgen, die einem iterativen und agilen Entwicklungsparadigma folgt und dabei neueste (generative) KI-Technologie sowohl mit didaktisch vorgefertigten Anregungen für Lehrkräfte als auch im Sinne einer offenen Sandbox zur Verfügung stellt. So können Lehrkräfte Ideen entwickeln und gleichzeitig mit Hilfe eines Baukastens individuell und auf ihre Schüler*innen und Themen zugeschnittene Lehr-Lern-Settings gestalten. Letztlich muss es Schulen, Lehrkräften und Schüler*innen in Zukunft möglich sein, ein auf pädagogische Anforderungen feinjustiertes System mit ähnlichem Komfort zu nutzen, wie dies derzeit mit CustomGPTs (OpenAI) oder individualisierten Copilots (Microsoft) möglich ist. Erst dann kann das volle Potenzial von LLMs ausgeschöpft werden. Ein erfolgreiches Beispiel hierfür ist Khanmigo der gemeinnützigen Khan Academy, das in den USA allen Lehrkräften kostenlos zur Verfügung steht und im Hintergrund auf OpenAI-Modelle zurückgreift. Allenfalls sollten Mittel für entsprechende Forschungs- und Entwicklungsprojekte empfohlen werden.
- Die Beschreibung der drei Level ist wissenschaftlich nicht ganz korrekt. Die Unterteilung ist in der hiesigen Literatur üblicherweise diese:
- Der First-Level Digital Divide bezieht sich auf den ungleichen Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Dies betrifft hauptsächlich die physische Verfügbarkeit von Computern und Internetverbindungen. Menschen in ländlichen Gebieten, mit niedrigerem Einkommen oder geringerer Bildung haben oft schlechteren Zugang zu diesen Technologien, was ihre Teilnahme an der digitalen Welt einschränkt.
- Der Second-Level Digital Divide fokussiert sich auf die Unterschiede in der Nutzung und den Fähigkeiten im Umgang mit digitalen Medien. Auch wenn Menschen Zugang zu IKT haben, bestehen Unterschiede in den Fähigkeiten, diese effektiv zu nutzen. Bildung, Alter und sozioökonomischer Status beeinflussen, wie kompetent Menschen Technologien nutzen können. Diejenigen mit höherer Bildung und Einkommen nutzen das Internet tendenziell effizienter und zu ihrem Vorteil.
- Der Third-Level Digital Divide beschreibt die Unterschiede in den Ergebnissen und den Vorteilen, die Menschen aus der Nutzung von IKT ziehen. Hierbei geht es um die soziale, wirtschaftliche und persönliche Verbesserung, die durch digitale Kompetenz erreicht werden kann. Menschen, die bspw. das Internet besser nutzen können, profitieren tendenziell mehr von wirtschaftlichen und sozialen Chancen, was die bestehende soziale Ungleichheit weiter verstärken kann.
- Eine mögliche Quelle zum Nachlesen ist z.B. Ferreira et al.
Dennoch möchten wir dringend unterstützen, dass diese Unterteilung in dem Papier aufgenommen wird, da sie die Perspektiven des digital gaps noch deutlicher beschreibt und die Notwendigkeit und Bedeutung früher KI-Bildung hervorhebt. Es müsste entsprechend dieser Absatz in „first- und second-level“ angepasst werden: „die zur Überwindung der second- und third-level-divides“.
c) Hinweis auf fehlende Aspekte
Ein Umgang mit KI-basierten Assistenzsystemen und dem gleichzeitigen „Lernen über KI“ als Nutzer*innen von KI-Technologien sollten nochmals hervorgehoben werden, um diesbezüglich Lösungen für die Anwender*innen zu finden.
d) Redaktionelle Hinweise
Die Einbindung von Praxisbeispielen und konkreten Förderprogrammen könnte die Umsetzbarkeit der Empfehlungen verdeutlichen.
Literatur
Daheim, Cornelia/Wintermann, Ole (2019): „Arbeit 2050: Drei Szenarien. Neue Ergebnisse einer internationalen Delphi-Studie des Millennium Project.“ Bertelsmann Stiftung. URL: https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/Arbeit_2050_Drei_Szenarien..pdf
Eickelmann, Birgit/Gerick, Julia (2017): „Lehren und Lernen mit digitalen Medien – Zielsetzungen, Rahmenbedingungen und Implikationen für die Schulentwicklung“. In Lehren und Lernen mit digitalen Medien: Strategien, internationale Trends und pädagogische Orientierungen, herausgegeben von Katharina Scheiter und Thomas Riecke-Baulecke. Schulmanagement-Handbuch, Band 164, 36. Jahrgang (Dezember 2017). München: Oldenbourg
Ferreira, Daniela/Vale, Mário/Carmo, Renato Miguel/Encalada-Abarca, Luis/Marcolin, Carla (2021): “The three levels of the urban digital divide: Bridging issues of coverage, usage and its outcomes in VGI platforms”, Geoforum (124), 195-206, DOI: https://doi.org/10.1016/j.geoforum.2021.05.002. URL: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0016718521001378
Khan, Salman. 2024. Brave new words: how AI will revolutionize education (and why that’s a good thing). New York: Viking
Möller, Moritz/Nirmal, Gargi/Fabietti, Dario/Stierstorfer, Quintus/Zakhvatkin, Mark/ Sommerfeld, Holger/Schütt, Sven (2024): „Revolutionising Distance Learning: A Comparative Study of Learning Progress with AI-Driven Tutoring“. arXiv. DOI: https://doi.org/10.48550/ARXIV.2403.14642
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